Heute verkündete der Bundesgerichtshof (BGH) sein Urteil über den Fall „Pechstein“. Bereits im März war vor dem BGH mündlich über den Fall verhandelt worden. Claudia Pechstein hat verloren.

Die Eisschnellläuferin verklagt den Eisschnelllauf-Weltverband ISU auf Schadensersatz. Dabei spielt die Frage der Wirksamkeit von Klauseln, die den Athleten bei sportrechtlichen Streitigkeiten den Gang zu den Zivilgerichten versperren, eine entscheidende Rolle.

Warum musste der BGH entscheiden?

Claudia Pechstein klagte bereits in zwei Instanzen auf rund 4 Mio. Schadensersatz gegen den Welteisschnelllaufverband. Grund ist die vom Verband im Jahr 2009 verhängte Dopingsperre, die Pechstein wahrscheinlich einen wesentlichen Teil ihrer Karriere gekostet hat. Im Rahmen des sportgerichtlichen Verfahrens hatte der Court of Arbitration for Sports (CAS) die Sperre bestätigt. Pechstein gab sich damit nicht zufrieden und bestritt den Weg vor die deutschen Zivilgerichte.

Dort ist folgendes klären: zum einen die Frage, ob Claudia Pechstein Schadensersatz verlangen kann und – wenn ja – in welcher Höhe. Vorgelagert ist aber die Frage, ob die deutschen Zivilgerichte überhaupt zuständig sind, um über die Ansprüche zu entscheiden. Ausweislich einer Schiedsklausel im Athletenvertrag mit Frau Pechstein, dürfte sie mit ihren Forderungen nicht vor ein deutsches Zivilgericht gehen, sondern nur die Sportgerichtsbarkeit und danach noch die Schweizer Zivilgerichtsbarkeit anrufen.

In einem Zwischenurteil hatte sich das Oberlandesgericht (OLG) München Mitte Januar 2015 für zuständig erklärt, um über die Schadensersatzklage zu entschieden. Die Schiedsklausel sei kartellrechtswidrig und somit unwirksam, weil die ISU bestimmenden Einfluss auf die Auswahl der Schiedsrichter habe, die im sportgerichtlichen Verfahren entscheiden. Damit sei kein faires sportgerichtliches Verfahren gewährleistet. Die Athleten seien gezwungen, dieses Ungleichgewicht hinzunehmen, weil sie keine andere Möglichkeit haben, an internationalen Sportveranstaltungen teilzunehmen. Damit werde ihnen ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht unzulässig verwehrt, nämlich den Zugang zu den staatlichen Gerichten und das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

Gegen dieses Urteil legte der Eisschnelllaufverband Revision ein. Mit Erfolg.

Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH hat nur über die Frage der Zuständigkeit der deutschen Zivilgerichte entschieden. Er hat die Zuständigkeit verneint. Die Klausel in der Athletenvereinbarung, um die sich alles dreht, sei zulässig.


Zur Erklärung: Deutsche Zivilgerichte gehören zur sog. „ordentlichen“ Gerichtsbarkeit. Zivilgerichte dürften über die Schadensersatzklage gar nicht erst entscheiden, wenn Frau Pechstein und die ISU sich rechtswirksam darauf geeinigt hätten, dass solcherlei Ansprüche nur im Rahmen der Sportgerichtsbarkeit entschieden werden dürfen. Die Sportgerichtsbarkeit gehört nicht zur ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland. Durch die Sportgerichtsbarkeit regeln die Sportverbände ihre Rechtsangelegenheiten quasi „unter sich“. Um für internationale Wettkämpfe startberechtigt zu sein, musste Pechstein – wie nahezu alle Sportler im Leistungssportbereich – eine Schiedsvereinbarung unterschreiben, wonach in Streitfällen zwischen Verband und Sportler ausschließlich die Sportgerichte zuständig sind. Eine solche Klausel kann unwirksam sein, wenn sie gegen das Kartellrecht verstößt.


Das Kartellrecht (geregelt im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen GWB) untersagt marktbeherrschenden Unternehmen ihre Marktmacht zu missbrauchen, z.B. wenn sie einem Vertragspartner Bedingungen auferlegen, die ihn benachteiligen, die er aber aufgrund der Monopolstellung des Unternehmens gezwungen ist, zu akzeptieren. Der vorliegende Fall ist ein Paradebeispiel dafür, denn – so auch der BGH – die ISU

ist […] bei der Veranstaltung von internationalen Eisschnelllaufwettbewerben marktbeherrschend.

Diese Marktmacht hat die ISU nach Auffassung des BGH aber nicht missbraucht.

Nach dem BGH (es liegt derzeit noch kein vollständig begründetes Urteil vor, sondern nur eine Pressemitteilung) spricht folgendes dagegen, dass die ISU mit der Verwendung der Schiedsabrede in der Athletenvereinbarung ihre Markmacht missbraucht hat:

  1. Fairness des Verfahrens vor dem CAS: Der BGH meint, die Tatsache, dass sich der CAS aus (Schieds-)richtern zusammensetzt, die in ihrer Gesamtheit von den Sportverbänden benannt werden, spreche nicht gegen ein faires Verfahren. Denn:
    • Verbände und Sportler verfolgten mit dem sportgerichtliche Verfahren grundsätzlich dieselben Interessen, nämlich den Kampf gegen das Doping.
    • Jede Partei benenne einen Schiedsrichter des Gerichts und habe zudem die Möglichkeit, Schiedsrichter wegen Befangenheit abzulehnen.
  2. Die Verbandsautonomie gebiete es, Athleten solche Schiedsvereinbarungen unterschreiben zu lassen. Das Recht des Athleten auf ein rechtsstaatliches Verfahren sei schon deshalb gewahrt, weil er nach der Klausel auch ein Schweizer Zivilgericht anrufen kann.

Was ist von der Entscheidung zu halten?

Die Frage müsste besser lauten: Was ist von der Begründung zu halten? Die Ad-hoc-Antwort ist: nicht viel. Allerdings ist eine abschließende Beurteilung erst nach Vorliegen der vollständigen Urteilsgründe möglich. Zu den Gründen im Einzelnen:

Verbände und Sportler verfolgten mit dem sportgerichtliche Verfahren grundsätzlich dieselben Interessen, nämlich den Kampf gegen das Doping.

Das überzeugt überhaupt nicht. In einem kontradiktorischen Verfahren können beide Parteien gar nicht dieselben Interessen verfolgen. Auch in einem Strafverfahren, in dem sich Staat und Bürger gegenüberstehen, könnte man dem Beschuldigten nicht das Aussageverweigerungsrecht abschneiden mit der Begründung, er habe doch auch ein Interesse an der Effektivität und Funktionalität der Strafverfolgung.

Zudem zeigen das globale Versagen der Doping-Bekämpfung und die Korruption innerhalb der großen Verbände (jüngste Beispiele: Russland, IOC), dass keineswegs alle Beteiligten an einer effektiven Doping-Bekämpfung interessiert sind. Die Annahme des BGH ist geradezu naiv.

Jede Partei benenne einen Schiedsrichter des Gerichts und habe zudem die Möglichkeit, Schiedsrichter wegen Befangenheit abzulehnen.

Auch das überzeugt nicht. Maßgeblich ist, dass die Parteien des CAS-Verfahrens „ihre“ Schiedsrichter aus einer Liste auswählen, die ihrerseits durch die Verbände zusammengestellt wird. Die Auswahl ist also alles andere als „frei“. Für Befangenheitsanträge braucht es zudem einen konkreten Anlass. Die Tatsache, dass die Richterauswahl verbandsseitig vorbestimmt ist, genügt hierfür nicht und nur selten lassen sich Richter zu Handlungen hinreißen, die eine Befangenheit begründen.

Die Verbandsautonomie gebiete es, Athleten solche Schiedsvereinbarungen unterschreiben zu lassen. Das Recht des Athleten auf ein rechtsstaatliches Verfahren sei schon deshalb gewahrt, weil er nach der Klausel auch ein Schweizer Zivilgericht anrufen kann

Sportler sind natürliche Personen. Nicht jeder verfügt über das Einkommen eines Fußballnationalspielers. Die Athleten für den Zivilrechtsweg an ausländische Gerichte zu verweisen, führt zu einem Ungleichgewicht der Kräfte, weil der Athlet anders als die Verbände häufig nicht die finanziellen Möglichkeiten hat, vom Ausland aus den Rechtsstreit unter einer anderen Rechtsordnung zu führen.

Verbandsautonomie ist gut, eine kontrollierte Verbandsautonomie ist besser. Was häufig übersehen wird: der professionelle Sport ist eine vergleichsweise kleine Gemeinschaft. Es gibt viele personelle Vernetzungen und Verbindungen. Daraus resultiert zwangsläufig ein Glaubwürdigkeitsproblem für die Sportgerichtsbarkeit. Ein Athlet geht in ein sportgerichtliches Verfahren mit dem diffusen unguten Gefühl, Personen gegenüberzustehen, die über sein Anliegen entscheiden aber durch Verbindungen zur Verbandsseite möglicherweise nicht unabhängig entscheiden können. Verfahren vor den ordentlichen Gerichten und selbst unabhängige Schiedsgerichte geben keinen Anlass zu solchen Befürchtungen.

Was nun?

Der Zivilrechtsweg ist für Claudia Pechstein erschöpft. Ihr bleibt der Gang vor das Bundesverfassungsgericht. Dort kann sie die Verletzung ihrer Grundrechte rügen.

Was aber auch schwer wiegt: Das BGH Urteil nimmt dem Sport den Druck, sich zu reformieren. Er war bereits auf dem Weg, die Sportgerichtsbarkeit zu überarbeiten. Nun könnten Verbände Reformbestrebungen überdenken, verlangsamen oder gar verwerfen. Das wäre bedenklich.