Am 8. März verhandelte der Bundesgerichtshof (BGH) über den Fall „Pechstein“. Ein Urteil wurde nicht verkündet. Die Urteilsverkündung wurde auf den 7. Juni 2016 vertagt.

Der Rechtsstreit um Schadensersatzansprüche von Claudia Pechstein stellt die Sportgerichtsbarkeit auf den Prüfstand. Die Eisschnellläuferin verklagt den Eisschnelllauf-Weltverband auf Schadensersatz. Dabei spielt die Frage der Wirksamkeit von Klauseln, die den Athleten bei sportrechtlichen Streitigkeiten den Gang zu den Zivilgerichten versperren, eine entscheidende Rolle.

Worum es vor dem BGH im Einzelnen geht, fassen wir noch mal schnell zusammen:

Warum entscheidet der BGH?

Claudia Pechstein klagte bereits in zwei Instanzen auf rund 4 Mio. Schadensersatz gegen den Welteisschnelllaufverband (ISU). Grund ist die vom Eisschnelllaufverband im Jahr 2009 verhängt Dopingsperre, die Pechstein wahrscheinlich einen wesentlichen Teil ihrer Karriere gekostet hat. Im Rahmen des sportgerichtlichen Verfahrens hatte der Court of Arbitration for Sports (CAS) die Sperre bestätigt. Claudia Pechstein gab sich damit nicht zufrieden und bestritt den Weg vor die Zivilgerichte.

Die Zivilgerichte müssen zweierlei klären: natürlich die Frage, ob Claudia Pechstein Schadensersatz verlangen kann und – wenn ja – in welcher Höhe. Vorgelagert ist aber die Frage, ob die Zivilgerichte überhaupt zuständig sind, um über die Ansprüche zu entscheiden. Ausweislich einer Schiedsklausel im Athletenvertrag mit Frau Pechstein, dürfte sie mit ihren Forderungen nicht vor ein Zivilgericht gehen, sondern nur die Sportgerichtsbarkeit anrufen.

In einem Zwischenurteil erklärte sich das Oberlandesgericht (OLG) München Mitte Januar 2015 aber für zuständig, um über die Schadensersatzklage zu entschieden. Gegen dieses Urteil legte der Eisschnelllaufverband Revision ein. Über die Revision entscheidet nun der BGH. Über den Anspruch auf Schadensersatz geht es dabei (noch) nicht.

Worüber entscheidet der BGH?

Der BGH entscheidet nur über die Frage der Zuständigkeit der Zivilgerichte. Die Frage hat es allerdings in sich.

Deutsche Zivilgerichte wie das OLG München gehören zur sog. „ordentlichen“ Gerichtsbarkeit. Das OLG München dürfte über die Schadensersatzklage gar nicht erst entscheiden, wenn Frau Pechstein und die ISU sich rechtswirksam darauf geeinigt hätten, dass solcherlei Ansprüche nur im Rahmen der Sportgerichtsbarkeit entschieden werden dürfen. Die Sportgerichtsbarkeit gehört nicht zur ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland. Durch die Sportgerichtsbarkeit regeln die Sportverbände ihre Rechtsangelegenheiten quasi „unter sich“.

Um für internationale Wettkämpfe startberechtigt zu sein, musste Pechstein – wie nahezu alle Sportler im Leistungssportbereich – eine Schiedsvereinbarung unterschreiben, wonach in Streitfällen zwischen Verband und Sportler ausschließlich die Sportgerichte zuständig sind. Das OLG München hält eine solche Klausel für unwirksam, weil sie gegen das Kartellrecht verstoße.

Das Kartellrecht (geregelt im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung) untersagt marktbeherrschenden Unternehmen ihre Marktmacht zu missbrauchen, z.B. wenn sie einem Vertragspartner Bedingungen auferlegen, die ihn benachteiligen, die er aber aufgrund der Monopolstellung des Unternehmens gezwungen ist, zu akzeptieren. Der vorliegende Fall ist ein Paradebeispiel dafür, denn – so das OLG München –

auf dem Markt des Angebots von Weltmeisterschaften im Eisschnelllaufsport ist die ISU wegen des Ein-Platz-Prinzips der einzige Anbieter und daher mangels Wettbewerber als Monopolistin im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) marktbeherrschend.

Diese Marktmacht hat die ISU nach Auffassung des OLG München missbraucht. Zwar seien Schiedsvereinbarung im Sport nicht schlechthin kartellrechtswidrig. Problematisch sei aber die Tatsache, dass  der Verband bestimmenden Einfluss auf die Auswahl der Schiedsrichter habe, die im sportgerichtlichen Verfahren entscheiden. Damit sei kein faires sportgerichtliches Verfahren gewährleistet.

Die Athleten seien gezwungen, dieses Übergewicht der Verbände hinzunehmen, weil sie keine andere Möglichkeit haben, an internationalen Sportveranstaltungen teilzunehmen. Damit werde ihnen ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht unzulässig verwehrt, nämlich den Zugang zu den staatlichen Gerichten und das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes). Hierzu meint das OLG München:

Das Vertrauen des Rechtsuchenden in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit eines Schiedsgerichts nimmt Schaden, wenn er befürchten muss, sich einem Richter gegenüberzusehen, der mit Blick auf seinen Fall und seine Person überhaupt erst bestellt worden ist; insoweit gilt es, Vorkehrungen schon gegen die bloße Möglichkeit und den Verdacht einer Manipulation der Richterbesetzung zu treffen.

Welche Tragweite hat die Entscheidung des BGH?

Eine enorme. Wird das Urteil des OLG München vom BGH bestätigt, wirkt es sich auf die gesamte Sportgerichtsbarkeit in Deutschland aus. Zwar bedeutet das nicht, dass dann sämtliche Schiedsvereinbarungen unzulässig sind. Denn es ist nicht per se unzulässig, solche Vereinbarungen zu treffen. Unterfällt ein Athlet aber ausschließlich der Sportgerichtsbarkeit, muss ihm diese ein faires Verfahren garantieren. Daher müssten eine Vielzahl solcher Klauseln im gesamten Sport künftig auf den Prüfstand gestellt werden und der Sportgerichtsbarkeit würde im Ergebnis das Monopol aus der Hand genommen werden, Streit zwischen Sportlern und Verbänden in den „eigenen vier Wänden“ zu regeln.

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