Nach dem OLG München ist die Schiedsklausel, die zwischen Claudia Pechstein und dem Internationalen Fachverband für Eisschnelllauf (ISU) vereinbart wurde, unwirksam. Die Entscheidung des CAS zum Fall Pechstein erkennt das Gericht nicht an. Hier ist die Pressemitteilung zum Urteil.

Wenn auch schon so erwartet: Es ist ein Hammerurteil und wahrscheinlich ein Meilenstein in der deutschen Sportrechtsgeschichte.

Pechstein klagt bereits in zweiter Instanz vor dem OLG München auf rund 4 Mio. Schadensersatz gegen den Welteisschnelllaufverband (ISU). Grund ist die vom Eisschnelllaufverband im Jahr 2009 verhängt Dopingsperre, die Pechstein wahrscheinlich einen wesentlichen Teil ihrer Karriere gekostet hat. Im Rahmen des sportgerichtlichen Verfahrens hat der Court of Arbitration for Sports (CAS) die Sperre bestätigt. Claudia Pechstein gab sich damit nicht zufrieden und bestritt den Weg vor das Zivilgericht.

In einem Zwischenurteil erklärt sich nun das Oberlandesgericht München überhaupt für zuständig über die Schadensersatzklage zu entschieden. Ob der Anspruch auf Schadensersatz überhaupt begründet ist und in welcher Höhe, wird viel später entschieden.

Warum so kompliziert? Deutsche Zivilgerichte wie das OLG München gehören zur sog. „ordentlichen“ Gerichtsbarkeit. Das OLG München dürfte die Klage aber gar nicht erst entscheiden, wenn Pechstein und die ISU sich rechtswirksam darauf geeinigt hätten, dass solcherlei Ansprüche nur im Rahmen der Sportgerichtsbarkeit entschieden werden dürfen. Die Sportgerichtsbarkeit gehört nicht zur ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland. Durch die Sportgerichtsbarkeit regeln die Sportverbände ihre Rechtsangelegenheiten quasi „unter sich“.

Um für internationale Wettkämpfe startberechtigt zu sein, musste Pechstein – wie nahezu alle Sportler im Leistungssportbereich – eine Schiedsvereinbarung unterschreiben, wonach in Streitfällen zwischen Verband und Sportler ausschließlich die Sportgerichte zuständig sind. Die Wirksamkeit dieser Vereinbarung lehnt das OLG München nun ab, weil sie gegen das Kartellrecht verstoße.

Das Kartellrecht (geregelt im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung) untersagt marktbeherrschenden Unternehmen ihre Marktmacht zu missbrauchen, z.B. wenn sie einem Vertragspartner Bedingungen auferlegen, die ihn benachteiligen, die er aber aufgrund der Alleinstellung des Unternehmens gezwungen ist, zu akzeptieren. Der vorliegende Fall ist ein Paradebeispiel dafür, denn

auf dem Markt des Angebots von Weltmeisterschaften im Eisschnelllaufsport ist die ISU wegen des Ein-Platz-Prinzips der einzige Anbieter und daher mangels Wettbewerber als Monopolistin im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) marktbeherrschend.

Diese Marktmacht hat die ISU nach Auffassung des OLG München missbraucht. Zwar stelle das Verlangen einer Schiedsvereinbarung durch den Ausrichter von internationalen Sportwettkämpfen nicht schlechthin einen Missbrauch von Marktmacht dar, denn es gebe gute Gründe dafür, Streitigkeiten zwischen Athleten und Sportverbänden im Zusammenhang mit internationalen Wettkämpfen nicht den staatlichen Gerichten zu überlassen.

Für problematisch hält das OLG München aber die Tatsache, dass  der Verband bestimmenden Einfluss auf die Auswahl der Schiedsrichter habe, die im sportgerichtlichen Verfahren entscheiden. Damit sei kein faires sportgerichtliches Verfahren gewährleistet.

Durch die Vorgaben für die Wahl der im Rahmen der Schiedsvereinbarung in Betracht kommenden Schiedsrichter erhalten die Verbände bei Streitigkeiten mit Athleten ein strukturelles Übergewicht, das die Neutralität des CAS grundlegend in Frage stellt.

Die Athleten seien gezwungen, dieses Übergewicht der Verbände hinzunehmen, weil sie keine andere Möglichkeit haben, an internationalen Sportveranstaltungen teilzunehmen. Damit wird ihnen ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht unzulässig verwehrt, nämlich den Zugang zu den staatlichen Gerichten und das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes).

Das Vertrauen des Rechtsuchenden in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit eines Schiedsgerichts nimmt Schaden, wenn er befürchten muss, sich einem Richter gegenüberzusehen, der mit Blick auf seinen Fall und seine Person überhaupt erst bestellt worden ist; insoweit gilt es, Vorkehrungen schon gegen die bloße Möglichkeit und den Verdacht einer Manipulation der Richterbesetzung zu treffen.

Zwischenfazit: Wird das Urteil rechtskräftig, wirkt es sich auf die gesamte Sportgerichtsbarkeit in Deutschland aus. Zwar bedeutet das nicht, dass dann sämtliche Schiedsvereinbarungen unzulässig sind, denn – wie gesehen – ist es per se nicht unzulässig, solche Vereinbarungen zu treffen, sondern es kommt auf die Verfahrensausgestaltung – zB die Richterbesetzung – an. Allerdings werden eine Vielzahl solcher Klauseln künftig auf den Prüfstand gestellt werden und der Sportgerichtsbarkeit im Ergebnis wohl das Monopol aus der Hand genommen werden, Streit zwischen Sportlern und Verbänden in den „eigenen vier Wänden“ zu regeln.

Das OLG München hat aber noch eine weitere bemerkenswerte Entscheidung getroffen. Entgegen der Auffassung der ersten Instanz (Landgericht München) kann die Klage nämlich nicht mit Blick auf die Entscheidung des CAS abgewiesen werden. Das LG München hatte in erster Instanz aber so entschieden. Zwar hielt es die Schiedsvereinbarung ebenfalls für unwirksam, meinte aber, dass die Entscheidung des CAS unumstößlich sei und Pechstein die Sperre hab hinnehmen müssen.

Das OLG München sieht das anders. Im internationalen Vollstreckungsrecht müssen im Ausland ergangene gerichtliche Entscheidungen (dazu gehören auch Entscheidungen von Schiedsgerichten) im Inland durch ein Gericht „anerkannt“ werden, um auch im Inland Wirkung zu bekommen. Nicht anerkannt werden müssen Entscheidungen, die gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Ein auf Grundlage einer kartellrechtswidrigen Vereinbarung geführter Prozess und ein so ergangener Schiedsspruch stelle einen solchen Verstoß dar und könne daher im Inland nicht anerkannt werden.

Daher sei auch die Schadensersatzklage jedenfalls nicht deshalb unbegründet, weil der CAS bereits abschließend über die Dopingsperre entschieden habe.

Das Gericht hat ausdrücklich die Revision gegen das Urteil zugelassen, so dass diese spannenden Fragen wohl vom BGH entschieden werden.

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